Lesen Sie hier persönliche Geschichten und Erlebnisse von Zeitzeugen Wilhelm Knud Schuppenhauers.
Gerd & Jörn Schuppenhauer
Aus der Familie Schuppenhauer leben heute – am Volkstrauertag 2025 – noch 2 Personen.
Die Söhne Gerd und Jörn Schuppenhauer. Beide können aus Erzählungen und eigenen Erinnerungen von den Ereignissen im April 1945 in Colbitz und aus dem Familienleben berichten.
Die Familie:
Vater : Wilhelm Knud Schuppenhauer, *14.11.1905 in Hadersleben – gefallen ⚔ 12.04.1945
Mutter : Marie Magdalene Schuppenhauer, geb. Lüer, *17.11.1909 in Hadersleben – † 28.09.1986
Sohn : Knud Wilhelm Schuppenhauer, * 28.08.1933 in Hamburg – † 15.09.1999
Sohn : Dieter Richard Schuppenhauer, *17.03.1935 in Hamburg – † 06.08.2021
Sohn : Gerd Emil Schuppenhauer, *07.01.1938 in Hamburg
Sohn : Swen Walther Schuppenhauer, *28.12.1940 in Hamburg – † 12.05.2005
Sohn : Jörn Schuppenhauer, *31.10.1942

Die Familie lebte beim Ausbruch des zweiten Weltkrieges in Hamburg Barmbek am Rande des Stadtparks. Der Vater wurde am 01.09.1939 zum Militärdienst eingezogen. Aufgrund der erwarteten Luftangriffe auf Hamburg im Juli 1943, musste die Familie die vertraute Wohnung verlassen und wurde nach Kakerbeck in der Altmark evakuiert. Familie Homann führten dort einen Bauernhof. Im provisorisch ausgebauten Dachgeschoss fanden wir ein neues Zuhause. Ein Stück Ackerland wurde zur Ernährungsquelle für 6 Personen. Hier war von den Kriegswirren zu dieser Zeit kaum etwas zu spüren, während in Hamburg noch im Juli 1943 schwere Luftangriffe auf mehrere Stadtteile erfolgten. Tausende Menschen verloren ihr Leben und auch unsere Wohnung (der ganze Wohnblock) wurde ein Opfer der Flammen. Alles Hab und Gut verbrannte. Wir Kinder gingen in die Dorfschule von Kakerbeck und Klötze. Wir fanden neue Freunde und es waren fast sorglose Tage. Unser Vater war ganz in der Nähe in der Gemeinde Colbitz stationiert. Er besuchte uns Anfang April (Ostertage) auf dem uns vertrauten Bauernhof. Der Krieg schien zu Ende zu sein und unsere Mutter stand unter dem Eindruck, dass er nicht mehr zurück musste. Unser pflichtbewusster Vater hatte aber noch einen Auftrag an seinem Standort Colbitz und kehrte zurück um gefangene Soldaten an die inzwischen vorgerückten Amerikaner zu übergeben. Es sollte für die Ehefrau und Mutter von 5 heranwachsenden Kindern die letzte Begegnung werden. Wie es in der Chronik der Gemeinde Colbitz niedergeschrieben wurde, kam es am Donnerstag, d. 12.04.1945 zu einer Tragödie. In den Wirren der letzten Kriegstage wurde unser Vater von einem Dorfbewohner erschossen. Die Nachricht erreichte die Familie in Kakerbeck kurz nach diesem Ereignis.
Verzweiflung, Trauer und Hoffnungslosigkeit herrschte auf dem Bauernhof. Wie sollte es weitergehen. Die Geschwister unserer Mutter meinten, sie müsse den Täter verklagen. Nein, das kam für sie nicht infrage, denn der Krieg und die millionenfachen menschlichen Tragödien waren genug der Schicksale! Und es sollte für die Mutter und der Familie noch schlimmer kommen. Nur wenige Tage nach der Nachricht aus Colbitz ergab sich eine weitere Tragödie. Vor den Augen unserer Mutter wurde ich, der Sohn Gerd und ein gleichaltriger Sohn der Familie Homann, von einem schweren amerikanischen Militärfahrzeug auf der Dorfstraße überrollt. Mein Schulkamerad und Freund starb noch an der Unfallstelle, während ich mit schwersten Kopfverletzungen usw. in ein deutsches Lazarett kam. Durch die Wirren dieser Zeit wurde ich in den 3 Monaten in verschiedene Orte verlegt. Eine folgende Ruhrerkrankung war lebensbedrohlich und ich habe erst in späteren Jahren begriffen, welches Leid unsere Mutter ertragen musste. Und auch die Mutter unseres Vaters, die ihren Ehemann im ersten Weltkrieg und jetzt ihren einzigen Sohn in fast gleichem Alter verloren hatte.
Im Winter 1945 kehrten wir nach Hamburg zurück. Nach einer kurzen Zwischenstation fanden wir eine Unterkunft in einer kurzfristig erstellten Barackensiedlung im Stadtteil Wellungsbüttel. Dort lebten wir ca. 6 Jahre mit 6 Personen auf 28 m². Es bleibt mir heute ein Rätsel, mit welcher Kraft und lebensbejahender Energie unsere Mutter uns in das weitere Leben geführt hat. Alle 5 Söhne haben nach der Schulzeit ein erfolgreiches Berufsleben erreicht. Als Mutter und Oma hat sie ihre Liebe und Freude beim Aufwachsen ihrer 9 Enkelkinder begleiten können. Wir mussten 1986, nach zwei schweren Krebserkrankungen, von ihr, der „größten“ Mutter und Oma, Abschied nehmen.
Zur Grabstätte unseres Vaters in Colbitz noch einige Anmerkungen. Mein ältester Bruder Knud (Spediteur) und ich (Schifffahrtskaufmann) haben seit Ende der 60ziger Jahre regelmäßig Kakerbeck und Colbitz besucht. Anlass waren die Frühjahrs- und Herbstmessen in Leipzig. Dabei haben wir uns immer an unsere Zeit in Kakerbeck erinnert, die Familie Homann besucht und meinen damaligen Schulfreund Klaus Lange und dessen Eltern. In Colbitz die Familie Görsch und später die Tochter, Frau Viol. Nach der politischen Wende ergaben sich dann weitere Kontakte mit der Familie Tempelhof, mit dem Pastorenehepaar Kerntopf und Frau Scheele. Viele Reisen zum Volkstrauertag nach Colbitz. Mit großer Freude und Dankbarkeit haben wir im Jahr 1995an den Feierlichkeiten teilgenommen, als unserem Vater die “Ehrenbürgerrechte“ der Gemeinde Colbitz verliehen wurde. Die Filmprimäre im Februar 2025 im Bürgerhaus zu Colbitz, „Ein Tag im April“ mit seinem Untertitel „Er gab sein Leben für das Leben“ und der heutigen Enthüllung des Ehrenmahles in der Gemeinde Colbitz sind besondere Erlebnisse für die Familie Schuppenhauer. Wir blicken auf eine friedliche Zukunft. Die Geschichte unseres Vaters und die zahlreichen Begegnungen in Colbitz, besonders im Jahr 2025, werden uns, mich und meinen Bruder Jörn, bis an unseren letzten Tag begleiten. Meine Kinder und 6 Enkelkinder sowie die Nachkommen meiner verstorbenen Brüder werden eines Tages das Erbe antreten.
Gerd Schuppenhauer (Verfasser)
Jörn Schuppenhauer

Hamburg / Colbitz, im November 2025
Fin Labusch
Fin Sven Labusch, geb. Schuppenhauer im Mai 1969, ist Sohn von Swen Walther Schuppenhauer und hat in Zusammenarbeit mit der Familie diese Website erstellt.
Ich wurde am 9. Mai 1969 in Hamburg geboren und absolvierte dort nach der Schule mein Studium der Informatik. Dort lernte ich meine Frau kennen und erst mit einer Seminararbeit meiner Tochter begann mich das Leben meines Großvaters mehr zu interessieren. Während meiner Kindheit haben meine Eltern nur sehr wenig aus der damaligen Zeit erzählt – vermutlich, weil die Erinnerungen an diese Zeit, Krieg, Flucht, Leid und Hunger einfach zu schlimm waren. Auch verstarb mein Vater schon früh aufgrund einer chronischen Krankheit.
Erst im Frühjahr 2025 besuchte ich mit meiner Familie zum ersten Mal die Gemeinde Colbitz und das Grab meines Großvaters. Am Nachmittag wohnten wir einer Aufführung des Films „Ein Tag im April bei“. Aus den spannenden Gesprächen mit dem Filmteam und Schauspielern – alles Einwohner von Colbitz und Umgebung – ergab sich die Idee, dass Ehrengrab/Denkmal mit einer Website zu begleiten.
Hamburg, im November 2025
Herbert Müller schildert seine Erlebnisse aus den letzten Tagen des Krieges
Der folgende Beitrag wurde von Burkhard Steffen am 7. Mai 2015 auf der Website der Volksstimme veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Volksstimme dürfen wir den Artikel auch hier veröffentlichen. Vielen Dank!
Colbitzer Jugendliche sollten die Rote Armee aufhalten
Am morgigen Freitag jährt sich zum 70. Mal das Ende des 2. Weltkrieges. An der Gedenkstätte in Dolle wird dieses Ereignis mit einer Veranstaltung ab 13 Uhr gewürdigt. Innenminister Holger Stahlknecht wird die Rede halten. Als Zeitzeuge erinnert sich Herbert Müller aus Colbitz an die letzten Tage dieses furchtbaren Krieges.
Colbitz l Herbert Müller (86) ist als Hobbyhistoriker weit über die Colbitzer Grenzen hinaus bekannt. Zahlreiche Ereignisse aus der Geschichte seines Heimatdorfes hat er schon aus dem Dunkel des Vergessens hervorgeholt. Nachfolgend schildert er sein eigenes Schicksal in den letzten Kriegstagen.
„Am 9. April 1945, ich bin knapp 16 Jahre alt, werde ich zusammen mit einigen anderen Colbitzer jungen Burschen in Stendal einer paramilitärischen Einheit zugeordnet. An dem besagten Abend wird die Parole ,feindliche Panzerspitzen stehen bei Gardelegen` ausgegeben. Unsere Einheit soll östlich der Elbe zurückverlegt werden.
Wir werden „feldmarschmäßig“ (wir erhalten eine Decke) ausgerüstet, soweit das noch möglich ist. Im Objekt herrscht ein heilloses Durcheinander. Die Ausbilder und Befehlshaber haben Schwierigkeiten, Ordnung zu halten und die Kontrolle auszuüben. Diesen Umstand und die hereinbrechende Dunkelheit nutzen wir Colbitzer und rücken aus. Wir wollen nach Hause.
Wir meiden die Straßen, so weit es geht. An der Bahnlinie Stendal – Magdeburg entlang laufen wir nach Süden. In der Nähe von Demker treffen wir auf einen haltenden Zug. Vorsichtig nähern wir uns und stellen fest, dass Angehörige der Feldgendarmerie am Zug patrouillieren.
Diese Feldgendarmen werden als Kettenhunde bezeichnet, weil sie brutal zu Werke gingen und als Symbol ein Messingschild an einer Kette um den Nacken vor der Brust hängen hatten. Was wir zurzeit nur ahnen können: Dieser Zug ist voll mit KZ-Häftlingen. Später haben wir erfahren, dass er bei Farsleben steckengeblieben ist und die meist jüdischen Insassen aus dem KZ Bergen-Belsen von den vorrückenden Amerikanern befreit wurden.
Streckenweise quer durch den Wald kommen wir schließlich am anderen Vormittag in unserem Dorf an. Wie es das Schicksal manchmal so will, unsere Einheit war dem in Colbitz stationierten regulären Truppenteil zugeordnet und gerade in Colbitz angekommen. Es gelingt uns noch, unser Zuhause zu erreichen. Wir werden aber schon gesucht. Ziemlich deprimiert und voll Angst gehen wir schließlich doch noch zu dem Standort und melden uns.
Kriegsgefangener Franzose holt einen Arzt
Der kommandierende Oberst ist doch noch gnädig mit uns. Wir müssen uns in eine Ecke stellen und sollen uns schämen. Im Anschluss werden wir vereidigt und erhalten je einen Karabiner und Munition.
Gegen Abend dürfen Karl Lindau und ich mit Zustimmung eines Unteroffiziers, der am Nachmittag unsere Arbeit beim Vergraben von Munition überwacht hatte, noch mal nach Hause. Ich bin krank, werde sofort ins Bett gelegt. Der bei uns tätige kriegsgefangene Franzose Marcel le Blanc holt einen französischen Arzt. Woher? Das wissen die Götter. Dieser Arzt stellt umgehend ein Attest aus. Damit geht meine Mutter zu dem Kommandeur, der das doch recht verständnisvoll zur Kenntnis nimmt.
Meine Mutter, eine resolute Frau, erklärt dem Oberst, dass diese Jungen den Krieg auch nicht mehr gewinnen können. Damit bewirkt sie, dass auch Karl Lindau wieder nach Hause gehen darf.
Die Einheit zieht noch an diesem Abend aus Colbitz ab und in Rogätz über die Elbe. Die Jungs sollen die Russen aufhalten. Bis auf einen, Theo Lamers, einen Umquartierten, kommen die Colbitzer Jungen Walter Sommer, Ronald Julius und Christoph Karcher die nächste Nacht von Rogätz noch einmal nach Hause. Sie rücken also noch ein zweites Mal aus. Feldwebel Wilhelm Schuppenhauer, als Parlamentär mit einer weißen Fahne ausgerüstet, macht sich aus Colbitz auf den Weg in Richtung Wolmirstedt, den Amerikanern entgegen. Fanatische, vom Endsieg besessene Subjekte wollen das verhindern. Schuppenhauer wird hinterrücks von deutscher Waffen-SS erschossen. Am Tag des Eintreffens der amerikanischen Truppen, dem 13. April, wird Feldwebel Schuppenhauer vom Kirchendiener und Totengräber Willi Görsch auf dem Colbitzer Friedhof still begraben.“
Quelle: Burkhard Steffen, Volksstimme, https://www.volksstimme.de/lokal/wolmirstedt/colbitzer-jugendliche-sollten-die-rote-armee-aufhalten-1843682
Zeitzeugen gesucht
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